Donnerstag, 27. Oktober 2011

Schwarz-Weiß vererbte Bilder

Bei meiner Arbeit mit jungen Menschen stelle ich immer wieder fest, dass sich traditionelle Rassismen von Generation zu Generation leicht vererben. Mein Gedicht im Projekt ICH und DU macht dezent darauf aufmerksam, dass wir unsere Gedanken, Emotionen und Worte genauer beobachten und prüfen sollten. Denn einiges davon sollte wir einfach auf den Müll werfen und nicht wiederverwerten, weil überholt oder diskriminierend. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung und damit auch im Zeitalter der Gleichberechtigung der Völker. Gleichberechtigung ist nichts, was von alleine geschieht. Sie bedarf der Verantwortung jedes einzelnen von uns. Gleichberechtigung müssen wir in uns selber herstellen und Verantwortung für sie übernehmen, Frieden miteinander schließen. Das wiederum tun wir am Besten gemeinsam. Oftmals glauben wir, dass wir nicht rassistisch denken, fühlen, handeln. Doch was uns unsere Eltern, Lehrer und andere Obrigkeiten an Bildern mit auf den Lebensweg gegeben haben, das wurzelt meist tief. Wir müssen den Seelenacker mehrmals pflügen, um den subtilen Nährboden für falsche Wertungen zu entfernen - aus Verantwortung gegenüber unseren Kindern und unserer Erde, die darauf wartet, dass sich Menschen freundschaftlich die Hände reichen.

Afrika – Europa

In meinem Kopf spukt ein altes Bildnis
aus längst vergangenen Kindertagen
von der trockenen afrikanischen Wildnis.
Wir müssen es neu,
wir müssen es anders wagen,
ohne Grenzen, ohne Scheu,
ohne Balken, der die Erde einzäunt
- von Freund zu Freund.
Suchend strecke ich meine Hand aus
und frage: Wer bist du?
Alte Sagen von Löwen und Wüstenmaus
decken dumpf meine Neugierde zu.

Nimm meine Hand!
Sag mir, wie gut das tut,
wenn du mir vertraut, mir bekannt.
Dann spüre ich Freundschaft, Liebe, Glut.
Lass mich aufbegehren
für eine Welt in Frieden,
die nicht nach Rassen unterschieden.
Lass uns die Erde durchqueren
für eine Welt in Freiheit
ohne Grenzen, Schlagbaum, Sperren,
ohne Knechte, ohne Herren.
Lasst uns das Brot vermehren
für eine Welt in Gleichheit,
in der es keine Armen, keine Reichen gibt,
sondern einer den anderen liebt. 

Menschlichkeit hat einen Preis,
einen guten noch dazu.
Weiß ist nicht immer nur Weiß
und Schwarz hat viele Nuancen.
Ich male ein neues Afrika,
eines mit fairen Chancen
und ein anderes Europa,
ein anderes ICH und DU.
Das Nord-Süd-Gefälle
bekommt eine andere Steigung
eine Brücke über die Meereswelle,
an beiden Enden dieselbe Neigung.

Male du, Afrika,
den Sand mit Träumen an –
von einer Welt, die Freiheit schenkt.
Damit ein jeder sehen kann,
wohin die Welt sich lenkt.
Und du, Europa,
reibe dir die Augen!
Siehe, dass alte Bilder nichts taugen.
Eine Welt in Vielfalt heißt meine Vision,
mit einem neuen Rhythmus,
Schwarz-Weiß, Bunt und Ton in Ton.
Es fehlt nur DEIN Entschluss.

Miriam Denise Weeke, Berlin 2010-11

Poesie ist für mich, wenn zwei Kulturen unterschiedlicher Sprache einen gemeinsamen Rhythmus finden.

Montag, 4. Juli 2011

ICH und DU - Mitstreiter

Mitstreiter des Projektes ICH und DU

Nachdem der Poesiefrühling Berlin 2011 erfolgreich abgeschlossen wurde, gebe ich hier die Mitstreiter aus dem Projekt ICH und DU bekannt. Herzlichen Dank an alle. Besonders schön finde ich, dass alle Generationen vertreten sind. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Poesie in der zwischenmenschlichen Begegnung vielen Menschen, unabhängig von ihrem Alter, wichtig ist. Besonders freut es mich, dass Günter Grass, Wolfgang Welsch und Michael Augustin unserem Projekt die Ehre erwiesen.
 
Josée Adoun, 26 J., Frankreich/Benin, Maler
Dan Lindemann, 80 J. Jerusalem
Anonym, Schülerin, Berlin
Michael Augustin, *1953, Bremen, Schriftsteller/Rundfunkredakteur
Fallon Bankole, 21 J., China/Benin, Künstlerin
Claus Beese, *1955, Bremen, Schriftsteller
Aume Bocossa, Benin, Künstler
Nicole Engbers, *1973, Autorin
Drussille Fagnibo, Benin, Künstlerin
Christel Gbaguidi, 31 J., Benin, Schauspieler/Regisseur
Ulrich Gbaguidi, 20 J., Benin, Maler
Günter Grass, 1927, Lübeck, Schriftsteller – Steidl-Verlag Göttingen
Sigrid Heyer, *1957, Berlin, Malerin
Alice Höller, *1974, Alsdorf, Autorin für Kinder
Benjamin Hornburg, 15 J., Schüler, Berlin
Marie van Klant, *1962, Klein Winternheim
Muriel Leland, 35 J., Altlandsberg, Autorin/Schmuckdesignerin
Jutta Lutz, *1958, Oestrich-Winkel, Lyrikerin
Emilie Meixner, 13 J., Berlin, Schülerin
Lea Deborah Muß, *1989, London/Berlin, Schauspielerin/Künstlerin
Département N’Dah, 22J., Morrocco Benin, Maler
Günter Neumann, *1952, Rothselber, Fotograf
Bodo Paul Lange, *1956, Villingen-Schwnningen, Lyriker
Claudia Lippert, 48 J., Kaarst (NRW)
Torsten Low, *1975, Meitingen, Verleger/Autor
Tabea Peterson, *1979, Autorin
Monika-Marie Rossa, *1953, Meinerzhagen, Journalistin/Fotografin/Ingenieurin
Sven Salzwedel, *1965, Berlin, Landschaftsplaner/Künstler/Autor
Dieter Schatzmayr, Berlin, Lyriker – Ivana Kampus slowenische Übersetzung
Joachim Schroetter, *1940, Idar-Oberstein, Autor
Selina Schulz, Berlin, Schülerin
Anna-Sophie Thurau, 13 J., Berlin, Schülerin
Kolawole Tidjani Serpos, 22 J., Morrocco/Benin, Künstler
Susanne Torka, Berlin, Landschaftsplanerin/Journalistin
Celéstine Weeke, *1996, Berlin, Schülerin/Schauspielerin
Miriam Denise Weeke, *1960, Autorin/Landschaftsplanerin/Künstlerin
Wolfgang Welsch, *1944, Sinsheim, Schriftsteller/Publizist
Andreas Züll, *1984, Trier/Schleiden, Lyriker
Pamela Moroni als Übersetzerin in fünf Sprachen

Donnerstag, 28. April 2011

ICH und DU - Poesie

Als ich Christel Gbaguidi, 31 J. aus Benin, im Oktober 2010 kennen lernte, spürte ich bald, dass unsere Herzen von ähnlicher Vision getragen sind – eine Welt in Vielfalt und Freiheit. Diese Vision war der Zündfunke für unser Poesieprojekt ICH und DU. Wir wollten den poetischen Augenblick auf die zwischenmenschliche Begegnung übertragen und so die Begegnung selber zur Poesie werden lassen.
„Poesie ist, wenn Menschen sich in den selben Traum begeben, zusammen sitzen und arbeiten, um Berge zu versetzen, Mauern zu durchbrechen und Licht zu bringen“, sagte Christel Gbaguidi. Mit einem Gemälde und zwei Gedichten auf Französisch und Deutsch, wollten wir Menschen aufmerksam machen auf das Thema Afrika – Europa. Es sollte nicht nur um die Beziehung der beiden Kontinente gehen, sondern auch um gemeinsame Themen, wie etwa Diktatur oder Flucht. In der poetischen Begegnung von Menschen sollte Sprache kein Hindernis sein. Denn „Poesie ist für mich, wenn Kulturen unterschiedlicher Sprache einen gemeinsamen Rhythmus finden.“
Damit Begegnung ohne Sprachbarrieren möglich würde, fügten wir unserer Idee ein Poesie-Album ein, an dem sich alle Interessierten mit einem eigenen Beitrag beteiligen konnten. Viele europäische und afrikanische Künstler aller Generationen trugen mit Gedichte in verschiedenen Sprachen, Gemälde und Fotos zum guten Gelingen des Projektes bei. Das Album zeigt wie nah sich die Menschen in ihren Empfindungen sind ganz unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Alter. Sie lieben ihre Mutter Erde. Sie wünschen sich den Frieden und Freiheit für alle Menschen. Sie mögen alle keinen Krieg und kein zwanghaftes Verlassen-müssen der Heimat. Die Beiträge im Album stehen nicht für sich alleine, sondern sie antworten aufeinander und gehen miteinander in den Dialog. Und damit war diese Projekt für uns erfolgreich. Denn der poetische Augenblick in der zwischenmenschlichen Begegnung kann nur im stillen Moment des Dialoges erblühen. Besonders erfreulich war, dass sich viele junge Menschen im Alter von vierzehn bis zwanzig Jahren beteiligt haben, sowohl Europäer als auch Afrikaner. Das zeigt uns, wie sehr junge Menschen den Ausdruck von Harmonie, Schönheit, Authentizität, Wahrhaftigkeit in der zwischenmenschlichen Begegnung schätzen.
Mit den Flüchtlingsströmen aus Tunesien und der Tsunami-Katastrophe in Fukushima war unser Projekt hochaktuell. Diese Bilder fordern Solidarität und Mitgefühl geradezu heraus. Sie machen aber auch deutlich, wie wichtig die Entwicklung eigener Standpunkte und eigener Verantwortung ist. Möglicherweise war diese Aktualität ein Grund, warum sich Autoren wie Michael Augustin, Günter Grass und Wolfgang Welsch für unsere Idee gewinnen ließen. Sie beteiligten sich spontan mit wunderbaren Beiträgen an dem Projekt ICH und DU.
Freiheit und Menschlichkeit geht jeden etwas an. Und sie sind Voraussetzung für den poetischen Augenblick in der zwischenmenschlichen Begegnung, für den stillen Moment zwischen dem ICH und dem DU, der offen ist für ein gefühltes WIR.
Poesie-Ausstellung im Cafe Moab, Berlin

Donnerstag, 24. März 2011

ICH und DU – STURMWARNUNG

Danziger ist er – der Günter Grass. Gebürtiger Danziger. Der wird es wissen, wie sich Diktatur anfühlt, Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit. Der hat es mitgemacht, hat viel gesehen. Grass, das ist einer, der hat nachgedacht, hat den Mund aufgemacht, hat aufgeschrieben, schwarz auf weiß. Hat es sogar in die Zwischenzeilen gesetzt, die den interessierten Leser fesselnd umseilen.

Aussuchen habe ich es mir dürfen, das Grass-Gedicht, für das Projekt ICH und DU im Poesiefrühling Berlin 2011. STURMWARNUNG heißt es, das Gedicht, das mich berührte. Es ist immer gut vor Stürmen zu warnen, wenn sie auch gerne überhört werden, die Warnungen. Wie viele Stürme gingen schon hinweg über dieses Land, über diese Erde? Stürme, vor denen gewarnt wurde. Stürme, die durch taube Ohren bliesen. Stürme mit Vorzeichen.

STURMWARNUNG trifft die Sache genau. Grass sagt darin kurz und knapp, was ich denke. Als eine, die für Nachhaltigkeit steht, denke ich viel. Oft fragt mich einer, warum ich mich als Umweltpädagogin mit Migration beschäftige. Da werden meine Augen vor Verwunderung groß wie die leeren Näpfe hungriger Kinder und so fragend wie die der Schildkröten, die, kaum aus dem Ei gekrochen, mit ihrem Leben um die Wette laufen. Wo wir doch alle Natur sind! Zusammengemanscht aus Wasser und aus Staub. Der Grass hat das begriffen. Zwischen Klimastürmen und Menschenstürmen besteht Zusammenhang. Umweltkatastrophen sind Hauptgründe für Migration. Und Menschen setzen Ursachen für Klimastürme.

Wohin wollen wir flüchten, wenn uns ein Sturm erwischt? Berlin, ein sicherer Ort für alle Stürme dieser Welt? Deutschland, ein sicherer Ort für alle Stürme dieser Welt? Jeanette fegte 2002 in Sekundenbruchteilen geliebte Bäume weg. Knickte sie wie Streichhölzer unter Vorschlaghammer. Wohin fliehen, wenn Hagelkörner Häuser totschlagen, weil Frost herrschaftsgeil wird? Wohin fliehen, wenn Feuerwehr ahnungslos, weil Flammen Pipelines rächen? Die Welt beutelt sich durch allerhand Stürme. Feuerstürme, Erdstürme, Wasserstürme, Tsunamis, Orkane, Weiße Stürme, Schwarze Stürme. Wir kennen das. Die meisten Stürme werden vorausberechnet, sind ankündbar. Menschen laufen mit offenen Augen ins Verderben. Axtstürme legen Urwald flach. Wir schauen zu – manchmal sogar mit Interesse.

Wir sind lange nicht mehr bedacht, auf sauberes arisches Blut. Wir geben Aids keine Chance. Wir haben alles im Griff (außer die Dinge, die Grass in 96 Leerzeichen hineinpfercht – weis auf weiß). Wir könnten jetzt aufhören, den Urwald zu fällen und die AKWs abstellen, wenn wir wollten. Da kündigt sich schon wieder rotzfrech ein Sturm an. Gelber Sturm. Die Welt schaut auf Japan, um zu lernen, Erfahrung zu sammeln für die Sicherheit bereits bestehender AKWs. Aber dann, plötzlich, in einem einzigen poetischen Augenblick stehen alle Winde still. Er kann sich nicht entscheiden, der Gelbe Sturm, wohin er will. Man kann sie atmen hören, diese gelbe Unentschlossenheit. Und jeder spürt, diese Welt ist für uns alle verdammt eng geworden.

Mit Mühe und Eigensinn halten wir unsere Grenzen fest. Wo kämen wir hin, wenn sich Reichtum mit Armut mischt? Wo kämen wir hin, wenn Geschundene ihren Lohn einfordern? Wie müssten wir denken, wenn jeder von uns nur ein Weltmensch unter Weltmenschen ist – nichts weiter sonst? Der Gelbe Sturm dreht sich im Kreise. Aber Weltmenschen wissen, radioaktive Strahlen kennen nicht Passport, kennen nicht Visum, kennen nicht Aufenthaltsgenehmigung, klopfen nicht an, um dreist nach Asyl zu fragen.
Wir haben alles im Griff. Immer. Alles ist sicher. Nur die 96 Leerzeichen in Grass’ STURMWARNUNG erscheinen mir unberechenbar. Und auch diese dreizehn Zwischen-den-Zeilen-Berichten machen mir Sorgen.


Meine Dankbarkeit gilt Herrn Günter Grass, Frau Hilke Ohsoling, Herrn Jan Menkens - Steidl Verlag Göttingen.

Sonntag, 13. März 2011

ICH und DU - Taub und Stumm

Zwischen Hitler und Merkel liegen 60 Jahre. Die Zeit gönnte den Deutschen 60 Jahre, damit sie sich in Toleranz gegenüber der Andersartigkeit üben konnten.

Eine italienische, eine türkische Familie und ein Grieche lebten in der Nachbarschaft meiner Kindheit. Gastarbeiter. Vor dem Dorf lagerten „Zigeuner“. Gastfreundlich waren sie, die Fremdländer. Geht nicht dorthin, spielt nicht mit ihnen, bleibt im Haus, hieß es. Angeblich würden sie Kinder stehlen. Mir gefiel die Musik, die sie aus ihren Geigen holten. Mir gefiel, dass sie uns in ihren bescheidenen Häusern/Wohnwagen zu essen und zu trinken gaben. Mir gefiel, dass sie uns Kinder freundlich anlachten. In der Schule lernten wir, dass wir unser Blut nicht mit den Schwarzen mischen sollten, der Kinder, die noch zu gebären wären, zuliebe. Damit sie als Bastarde nichts leiden müssten. Das war 1975.

„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ sang Franz-Josef Degenhardt 1965. Griechischer Wein sang Udo Jürgens 1974. Neue Gedanken schlichen sich ein in das laute Schweigen aus Fremdenhass. 
War selber ein Schmuddelkind, passte nicht in die Umgebung. Obwohl blond und fast blauäugig, fiel ich auf, sobald sich meinen Mund auftat:
„Esch jrieß se scheen, Herr Pastor!“
Die aufgerissenen Augen, die erstaunten Gesichter, das offene Gelächter stahlen mir das bisschen Sprache, welche mir von meiner ostdeutschen Mutter mitgegeben wurde. Deutsch war nicht gleich Deutsch. Das wissen wir.

Besser stumm sein, stumm bleiben, Schultern schweigend nach oben ziehen, sie nichts sagend wieder fallen lassen. Stumm sein auch, wenn die Diktate zunehmend öfter mit Fünf beurteilt werden. Bei einem Schmuddelkind kann nichts Besseres herauskommen.
Eine ähnliche Situation beschreibt Nicole Engbers in dem Poesie-Album mit einem kleinen Ausschnitt aus der Geschichte Die kleine und die große Spinne (in: Die andere Geschichte, Edition DAB-Verlag Torsten Low). Das Mädchen Uma schüttelt immer nur ihren Kopf, wenn sie ihre Klassenkameraden ansprechen und bleibt stumm. Dafür aber spricht sie mit den Bäumen und den Vögeln in ihrer eigenen Sprache.

Das Poesie-Album ICH und DU lädt Menschen ein, die Barriere der unterschiedlichen Sprachen zu durchbrechen. Es zwingt niemanden, richtiges Deutsch zu sprechen oder zu schreiben. Zwischenmenschliche Poesie mag alle Sprachen. Auch die taubstumme Sprache mag sie.

Das Poesie-Album erzählt die Geschichte Lüdenscheider Café, geschrieben von der Journalistin und Fotografin Monika-Marie Rossa. In ihr teilt sich eine taubstumme Türkin gebärdend mit. Beim Lesen dieser Geschichte fiel mir auf, wie stumm und wie taub füreinander wir durch unseren Alltag gehen. Türken für sich, Afrikaner für sich, Russen für sich, alle in ihren eigenen Gettos. Die Niemandsländer sind noch spezifischer ausgegrenzt. Im Bus schweigen sich die unterschiedlichen Nationalitäten an, haben oftmals nicht einmal ein Lächeln füreinander. Mich erinnert diese Geschichte an Adam, einen Afrikaner meiner jungen Jahre, den ich immer wieder mal in einer Aachener Pinte traf. Er sprach kein Wort Deutsch und trug nie einen Pfennig bei sich. Ich gab ihm regelmäßig einen Drink aus, obwohl ich selber eine Flüchtlings-Arm-Maus war. Gesten der Herzlichkeit verbinden – auch sprachlos.

Wir haben gelernt einander zu tolerieren, rassistischen Tendenzen Einhalt zu gebieten. Längst gibt es nicht mehr nur Weiße Deutsche. Die Haut der Deutschen hat eine farbenprächtige Vielfalt angenommen durch eine kunterbunte Mischung von Schwarz, Weiß, Gelb, Rot. Das Zeitalter der Toleranz gegenüber der Andersartigkeit des Fremden, welches immer auch ein Gefälle meint zwischen dem ICH und dem DU, geht zu Ende. Globalisierung im Hinblick auf weltweite Nachhaltigkeit fordert die Emanzipation aller Völker. Schonende Nutzung weltweiter Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung der Erde kann nur durch Gerechtigkeit unter den Völkern und gleichberechtigten Lebensgrundlagen für alle Menschen entstehen.

Armut in dieser Welt halbieren bedeutet zwangsläufig den Reichtum halbieren. Vielleicht setzt sich deswegen weltweite Mitmenschlichkeit und Respekt vor Mutter Erde so schwerfällig durch. Die weltweiten apokalyptischen Katastrophen, die bereits nukleare Ausmaße annehmen, lassen keine phlegmatischen Reaktionen, kein gleichgültiges Abwarten mehr zu. Jeder von uns ist herausgefordert, sich verantwortlich zu fühlen und in einen emanzipatorischen Prozess einzusteigen. Das kann jeder an seinem Ort tun, indem er sich für das Mensch-Sein des „Anderen“ interessiert, Brücken baut vom ICH zum DU, Brücken baut vom DU zum ICH und damit Poesie erfindet in der zwischenmenschlichen Begegnung.

Die entscheidende Frage hierzu stellt der Eifeler Lyriker Andreas Züll in seinem Poem
was weiß ich von dir mein bruder:

interessiert es uns wirklich

Ein herzliches Dankeschön an die Mitstreiter/Innen

Nicole Engbers
Torsten Low
Monika-Marie Rossa
Andreas Züll

Dienstag, 8. März 2011

ICH und DU - ohne Dich

 
Acrylbild  SCHWARZ und WEISS, Weeke Miriam Denise

Die Mitmach-Ausstellung ICH und DU im Berliner Poesie-Frühling ist angelaufen. Das Gemälde "Schwarz und Weiß" zieht die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich. Auf dem Bild suchen zwei Menschen unterschiedlicher Hautfarbe gemeinsam nach einem neuen Rhythmus für diese Erde. Das Publikum freut die Idee des dabei liegenden Albums, in dem jeder mit Worten und Bildern poetisch experimentieren darf.


das Mitmach-Poesie-Album ICH und DU

Gleich zu Anfang des Albums findet sich ein Beitrag von Wolfgang Welsch (Schriftsteller, Publizist), der heißt „Ohne Dich“. Bei dieser Überschrift stellte ich mir zunächst vor, wie es ist ohne den anderen zu sein. Wie mager ist unser Leben ohne eine liebevolle Geste an den Nächsten, ohne einen gleichberechtigten Austausch?
Wolfgang Welsch wendet sich in seinem Gedicht an die Gerechtigkeit. Wo bleibt sie, die Gerechtigkeit, auf die so viele Menschen hoffen? Sie, die Gerechtigkeit ist es, die Frieden und Sicherheit schaffen kann. Und doch hält sie sich verborgen. Dieses Gedicht flüstert den gleichen Unterton, den ich auch bei Albrecht Haushofer und Wolfgang Borchert herausfühle. Die stille Klage gegen Diktatur und Folter, der einsame Schmerz im Kampf um die Freiheit, die Zerrissenheit zwischen Hoffnungslosigkeit und Vision für eine bessere Welt. Sein Gedicht ist erschienen in „Klage. Gedichte gegen die Diktatur“ im Schwarzbuch-Archiv Verlag Schwerin, 2000. Welsch weiß wie kaum ein anderer von der Unmenschlichkeit künstlicher Mauern und Grenzen zu berichten. Als Republikflüchtling gefoltert und verurteilt, wurde er vom Westen freigekauft. Er agierte von dort aus als Helfer für DDR-Flüchtlinge, und zwar so erfolgreich, dass ihn die Staatssicherheit der DDR auf ihrer Todesliste ganz oben schrieb. Sein von Ungerechtigkeit und Verrat geprägtes Leben beschreibt Welsch in seinem autobiographischen Buch „Ich war Staatsfeind Nr.1“, ein Buch, welches man zur Gedenkfeier „50 Jahre Berliner Mauer“ gelesen haben sollte.

In dem Album steht dem Gedicht von Welsch ein beeindruckendes Gemälde des jungen afrikanischen Künstlers Département N´dah gegenüber. Es zog bereits im Oktober 2010 in der Ausstellung (Alp)traum Europa, Heilandskirche Berlin-Moabit, das Interesse der Zuschauer auf sich. Das Bild beschreibt die Situation eines Migranten, dem es gelingt, die Mauer, die die Weißen den Schwarzen gegenüber errichtet haben, zu durchbrechen. Voller Zweifel, Einsamkeit, Hoffen und Angst steht er im Niemandsland, an dessen Ende sich die nebelig-graue Silhouette europäischer Hochhäuser zeichnet. Das Bild besticht durch seine lebendigen gelb-orange-roten Farben, die an einen Sonnenaufgang erinnern. Doch scheint die Sonne wirklich für diese Menschen, die ihr Land verlassen müssen, um in der europäischen Fremde eine neue Bleibe zu finden?

Poesie ist der stille Moment, der auch in der Begegnung zwischen den Menschen aktiv sein möchte, in der Mitte von ICH und DU. Dieser Stille Augenblick kann nur in der Mitte von Gerechtigkeit existieren. Gerechtigkeit kennt keine Mauern.

Ich danke Departement N´dah und Wolfgang Welsch für ihre wunderbaren Beiträge zu dem Projekt ICH und DU im Poesie-Frühling Berlin.

Sonntag, 27. Februar 2011

ICH und DU

Christel Gbaguidi & Miriam Denise Weeke

Mitmach-Ausstellung
im
Poesiefrühling Berlin
07.-21.03.2011
im Café Moab, Lehrter-Straße 36,
Öffnungszeiten montags - freitags 11 - 24 Uhr, samstags 14 - 01 Uhr

mit Beiträgen von Fallon Bankole, Sven Salzwedel, Sigrid Heyer, Lea Deborah Muß, Département N'Dah, Wolfgang Welsch, Andreas Züll und viele andere.

Christel Gbaguidi (31) und Miriam Denise Weeke (50) laden die Besucher mit einem Gemälde und zwei Gedichten ein, sich zum Thema Afrika - Europa inspirieren zu lassen und ihre eigenen Kreationen in einem Poesie-Album einzutragen. 
Ziel des Projektes ist es, Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen in einen Dialog miteinander zu bringen. Kunst und Poesie ist ein geeignetes Mittel dafür.

Poesie ist der stille Moment,
der über die Alltagssprache hinaus-
geht
und sich in vielen Situationen
offenbaren kann,
so auch in der Begegnung
der Menschen.

Gbaguidi arbeitet seit fünf Jahren zum Thema Migration. Für Weeke (selbst Tochter einer Flüchtigen/Vertriebenen) stehen Nachhaltigkeit und Frieden im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Beide lassen sich tragen von der Vision einer Welt in Vielfalt und Freiheit für alle Menschen.

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